Vom Königinnentisch bis ins Bauernhaus – 200 Jahre Keramikgeschichte im Ethnographischen Museum

Incze László

Die neue, groß angelegte Ausstellung „Alltäglicher Luxus. Vom Königinnentisch bis ins Bauernhaus“ im Néprajzi Múzeum (Ethnographisches Museum Budapest) präsentiert erstmals eine einzigartige Zusammenstellung von Zsolnay-, Holitsch-, Hollóháza-, Fischer- und volkstümlichen Keramiken. Die Schau erzählt anhand von rund 200 Jahren ungarischer Steingutproduktion vom Wandel des Geschmacks, von Identität und von den Alltagskulturen verschiedener Gesellschaftsschichten.

Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Museum für Angewandte Kunst und dem Ungarischen Nationalmuseum, und zeigt die Vielseitigkeit des Steinguts – von der Eleganz höfischer Tafeln bis zu den farbenfrohen Wandtellern in Bauernhäusern. Über 600 Objekte veranschaulichen nicht nur die vielfältige Nutzung eines einzigen Materials, sondern berichten auch von sozialem Aufstieg, nationaler Selbstwahrnehmung und der Entstehung modernen Designs.

Steingut als europaweites Erfolgsprodukt

Steingut – ein bei 1100–1200 °C gebrannter, dünnwandiger und formbarer Werkstoff – trat im frühen 18. Jahrhundert aus England seinen Siegeszug an. Rasch verbreitete es sich in ganz Europa und erreichte auch den ungarischen Markt.

Im 19. Jahrhundert wurde Steingut sowohl in bürgerlichen Haushalten als elegantes Tischgeschirr genutzt, als auch als dekorative Elemente in einfachen ländlichen Häusern – und sogar auf königlichen Tafeln fand es seinen Platz.

Ein Symbol des ungarischen Kunstgewerbes

Die Ausstellung zeigt, wie Steingut gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Schlüsselmaterial des ungarischen Kunsthandwerks wurde. Vor allem die Zsolnay-Manufaktur suchte durch die freie Kombination volkstümlicher Motive, historischer Stile und orientalischer Ornamentik nach einer „ungarischen Formensprache“.

Auch ausländische Fabriken der Monarchie – wie Altrohlau oder Wilhelmsburg – produzierten gezielt für das ungarische Publikum. Diese Vielfalt schuf ein spannendes und zugleich widersprüchliches Marktumfeld.

Der Teller als Botschafter von Identität und Emotion

Die in den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts entstandenen durchbrochenen Ränder, plastischen Verzierungen und Transferbilder stammen ursprünglich aus der Welt der bürgerlichen Repräsentation.

Motivserien wie die „Wiener Rose“ wurden später vereinfacht und farbenfroher – und fanden ihren Weg zurück in die Bauernstuben.

Gegen Ende des Jahrhunderts wurden Aufschriften wie „Erinnerung“, Namen, Wünsche oder religiöse Texte zu persönlichen Botschaften.

So wurde der Teller nicht nur zum Dekorationsobjekt, sondern zur kommunikativen Fläche: Träger von Identität, Gefühlen, Humor oder sogar Propaganda.

Im Museum können Besucher in einer interaktiven digitalen Anwendung ihr eigenes „Tellergrußwort“ gestalten und verschicken – eine moderne Neuinterpretation der Tradition.

Vom modernen Haushalt bis in die sozialistische Ära

Der Rundgang beleuchtet auch das 20. Jahrhundert: Nach dem Ersten Weltkrieg und Trianon verschob sich im Keramikmarkt der Fokus auf Praktikabilität und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Die Formgeschirrserien der Granit-Fabrik in Kispest, ihre stapelbaren Schalen und die „Spritzdekor“-Technik schufen praktische, bis heute nostalgisch geliebte Alltagsgegenstände.

Die Planungen und Prototypen des Házgyári Küchenprogramms der 1970er–80er Jahre zeigen schließlich ein systemisches Denken: Forschung, Bedarfserhebung, modernes Design – alles in Keramik erzählt.

Eine umfassende, zugleich zugängliche Präsentation

Obwohl vielen das Material vertraut ist, wurde Steingut noch nie so wissenschaftlich fundiert und gleichzeitig allgemeinverständlich präsentiert wie in dieser Ausstellung.

Die Besucher erleben künstlerische Meisterwerke, alltagspraktische Haushaltsgegenstände und identitätsstiftende Objekte der Gemeinschaft gleichermaßen.

„Alltäglicher Luxus“ erzählt, ordnet ein, wirft Fragen auf – und verzaubert zugleich.

Die Ausstellung ist vom 3. Dezember 2025 bis 23. August 2026 im Néprajzi Múzeum Budapest zu sehen.