Notstandsgesetz in Ungarn: Mehr Hype und Unwissenheit als Fakten?

Viktor Orbán nach der Abstimmung / Foto: MTI/Máthé Zoltán

Heute ist in Ungarn ein wohl in der EU einmaliger Vorgang absolviert worden. Der Ministerpräsident Viktor Orbán hat durch ein neues Gesetz im Rahmen des Notstandes nun mehr Macht während der Notstandszeit im Land. Das Parlament winkte hierzu am Mittag ein Gesetzentwurf der Regierung mit deutlicher Mehrheit durch die Abstimmung. Doch was bedeutet dies wirklich?

Dieses Gesetz ermöglicht es Orbán nun das Land im Rahmen des Notstandes per Dekret zu regieren und dies vorerst auf unbestimmte Zeit. Die Regierung kann den Notstand nun ohne Zustimmung des Parlamentes auf unbestimmte Zeit verlängern. Außerdem erhält sie das Recht die Anwendung gewisser Gesetze per Dekret auszusetzen. Es können außergewöhnliche Maßnahmen angeordnet werden um die Stabilität des Lebens, der Gesundheit, der persönlichen und materiellen Sicherheit der Bürger wie der Wirtschaft zu garantieren.

Viele Diskussionen gibt es nun auch, daß das Gesetz unter anderem Haftstrafen für das Verbreiten von „falschen Nachrichten“ (Fakenews) oder von „wahren, aber verzerrt dargestellten Nachrichten“ im Rahmen der Coronakrise vorsieht.

Eines ist jedoch auch klar, die Regierung darf ihre Sondervollmachten nur zur Bekämpfung des Virus verwenden. Diese Maßnahmen müssen „notwendig“ und „verhältnismäßig“ sein und beziehen sich auch weiterhin auf das Grundgesetz Ungarns.

Viele Medien sind mit großen Schlagzeilen auf diesen Vorgang aufgesprungen, doch ist dieser Vorgang wirklich so „gefährlich“, wie von vielen Medien betitelt wird?

Der Ungarische Botschafter in Berlin hat in der letzten Woche bereits aufgeklärt, was dieser Vorgang und dieses Gesetz wirklich bedeutet und durch die Justizministerin aufschlüsseln lassen. Die deutsche Übersetzung, die auch an zahlreiche deutsche Medien versendet wurde hier noch einmal zum nachlesen:

Auszug der Stellungnahme der ungarischen Ministerin für Justiz und Europaangelegenheiten, Frau Judit Varga
Lassen sie es uns verdeutlichen: Der ungarische Gesetzesentwurf ist eine außerordentliche Antwort auf eine außerordentliche Situation, die der verfassungsmäßigen Ordnung Ungarns entspricht. Er sichert der Regierung weder grenzenlose Kontrolle, noch zeitlich unlimitierte Möglichkeiten der Maßnahmenergreifung zu. Er autorisiert die Regierung dringende, notwendige und im Verhältnis zur Gefahr verhältnismäßige Maßnahmen zu ergreifen, auch dann, wenn das Parlament verhindert ist seine Sitzungen zu halten. Der Entwurf sichert, das die außerordentlichen Maßnahmen der Regierung auch dann nicht außer Kraft treten, wenn das Parlament nicht in der Lage ist zusammenzukommen um diese Maßnahmen zu verlängern. Es ist leicht einsehbar, dass die ganze Verteidigung in Frage gestellt wäre, wenn z.B. das Veranstaltungsverbot abrupt enden würde, und das Parlament wegen der Epidemie nicht im Stande wäre zusammenzukommen um dieses Verbot zu verlängern. Andererseits ist das Parlament jederzeit zusammenrufbar, und die Ermächtigung wiederrufbar, wenn deren Aufrechterhaltung nicht mehr begründet ist. Also nach der durch den Coronavirus verursachten Epidemie. Wir alle hoffen, dass dies sobald wie möglich geschieht. Zurzeit kann jedoch keiner diesbezüglich sichere Behauptungen aufstellen. Weder in Ungarn, noch in Europa und weltweit. Aber lassen sie uns am Anfang beginnen. Beim Ausbruch der Epidemie auf unserem Kontinent hat die Europäische Union lange auffällig geschwiegen und die Handhabung der Krise wurde den Nationalstaaten überlassen. Das System der EU Institutionen wurde primär nicht für Krisensituationen erfunden, und die Geschehnisse haben gezeigt, dass sofortige und entschlossene Maßnahmen ergriffen werden mussten. Während die Nationalstaaten, darunter auch Ungarn, damit beschäftigt waren die Zahl der Infizierten niedrig zu halten und zu reduzieren, die notwendigen Maßnahmen zu beschließen die unbedingt notwendig waren um die Ausbreitung der Epidemie einzudämmen und die Wirtschaft am Leben zu halten, sind die Entscheidungsgremien der EU gerade soweit gekommen die Fragestellungen zu formulieren. Offenbar kann gegen die Verbreitung der Epidemie nur mit Maßnahmen der Nationalstaaten in enger Zusammenarbeit vorgegangen

werden. Ungarn war immer der Ansicht: ein starkes Europa ist nur mit einer Allianz starker Nationalstaaten möglich. Die jetzt betriebene politische Panikmache bezüglich der ungarischen Maßnahmen weist auffällige Ähnlichkeiten mit der im Jahre 2015 auf, zur Zeit der Migrationskrise. …… Die COVID-19 Pandemie verursachte eine präzedenzlose Situation, die ebenfalls präzedenzlose außerordentliche Maßnahmen erfordert. Das Erscheinen eines unbekannten Virus, dem mit den uns bekannten Impfstoffen nicht vorgebeugt werden kann, ist zweifellos eine Plage, bei deren Bekämpfung der Staat Sonderrecht einführen und außerordentliche Maßnahmen ergreifen muss. Zahlreiche Länder haben daher Verordnungen erlassen, die einzelne Freiheitsrechte einschränken, zum Schutze des Gemeinwohls. Das hat auch Ungarn getan, dabei hat es in mehreren Fällen mildere Einschränkungen als andere Mitgliedstaaten angewendet. Es wurde viel weniger darüber geschrieben, das sogar Deutschland tagelang Exportverbote verhängt hat auf die für das Gesundheitssystem anderer Mitgliedsstaaten äußerst wichtigen medizinischen Produkte, sogar auf solche, für die Deutschland nur ein Transitland war. Wenn jemand weiß welche Bedeutung die offenen Binnengrenzen haben, dann ist das Ungarn. Die Übergangsregelungen bzgl. der Beschränkungen wurden und wird von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten eingeführt und auch vollzogen. Bezugnehmend auf die ungarischen Grenzkontrollen gab es viele Meldungen, dass rumänischen, bulgarischen und serbischen Gastarbeiternihr Weg nach Hause nicht ermöglicht wurde. Was aber für die Journalisten nicht mehr erwähnenswert war, war der einfache Grund für diese Maßnahme. Nämlich, dass es tagelang keine Garantien dafür gab, dass diese Reisenden in ihre eigenen Länder einreisen werden können. Die Nachrichten der vergangenen Tage über die sog. Coronavirus-Gesetzesvorlage in den deutschen Medien unterstreichen weiterhin: Es wird mit doppeltem Maß gemessen. Während alle Länder die Epidemie mit allen ihren zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen, wird Ungarn dafür kritisiert, dass es in Form eines Sonderrechts(außerordentlicher Rechtsordnung) durch Verordnungen regeln will, und bittet das Parlament um ein Mandat, um sicherzustellen, dass die Maßnahmen so lange –und nur so lange –Gültigkeit haben, bis der Notstand andauert. Die Regierung Ungarns hat aufgrund der Verfassung am 11. März 2020 den Notstand angeordnet, welcher für das gesamte Staatsgebiet Ungarns gilt und zum Schutz der Gesundheit und des Lebens der ungarischen Bürger dient. Seitdem hat die Regierung zahlreiche Maßnahmen angeordnet, die darauf abzielen, die Verbreitung der COVID-19-Infektion zu verhindern, zu verlangsamen, den Kampf gegen die Infektion zu unterstützen, die Gesundheit der Menschen zu schützen, sowie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Unternehmen und das Land, welche durch die Pandemie verursacht werden, abzuschwächen. In der Verfassung jedes Landes gibt es Regeln für besondere Rechtssituationen. Je detaillierter diese Verordnung auf der höchsten Stufe der Rechtsordnung –also auf der Stufe der Verfassung –dargelegt werden, desto besser ist es nach Ansicht einiger Verfassungsrechtler. Die besondere Rechtsordnung ist keine außer-konstitutionelle, sondern eine außerordentliche und verfassungsgemäße Rechtsordnung. Dies bedeutet jedoch auch, dass die Anwendung dieser mit Garantien untermauert werden müsse. Das ungarische Grundgesetz tut genau dies, indem es besagt, dass das Grundgesetz selbst während der besonderen Rechtslage (wie das Sonderrecht) nicht aufgehoben werden dürfe. Das heißt, dass selbst während des Sonderrechts keine Verordnungen erlassen werden dürfen, die gegen das Grundgesetz verstoßen. Sollten die Bedingungen für die Verkündung der besonderen Rechtsordnung (des Sonderrechts) nicht mehr bestehen, so ist es die Pflicht derjenigen öffentlichen Stelle, die besondere Rechtsordnung (Sonderrecht) wieder aufzuheben, die diese vorher angeordnet hatte. Infolge dessen fällt die Erklärung eines Notstandes und die Aufhebung einer Notstandsituation in die ausschließliche Zuständigkeit der Regierung und einzig und allein die Regierung trägt dafür die Verantwortung. Gemäß unserer Gesetze bleibt eine Verordnung der Regierung die während des Notstandes getroffen wurde in der Regel für fünfzehn Tage in Kraft. Die Verlängerung dieser Verordnungen fällt in die Zuständigkeit der Regierung. Es gibt jedoch eine Bedingung: Die Verlängerung bedarf der Zustimmung des Parlaments. Die Ermächtigung zur Verlängerung der besonderen Regelungen, die während eines Notstandes getroffenen wurden, über die 15 Tage hinaus, fällt in die Zuständigkeit des Parlaments. Das Parlament trägt demnach dafür die Verantwortung. Wenn das Parlament nicht zustimmt, werden somit vor allem die bisher ergriffenen Maßnahmen annulliert.

Im Gesetzesentwurf ist folgendes verankert: Das Ziel der Verordnungen und Maßnahmen sei ausschließlich der durch die COVID-19-Infektion verursachten Humanepidemie vorzubeugen, diese zu begrenzen, einzudämmen sowie deren negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft zu vermeiden bzw. zu bekämpfen. In Anbetracht dessen, dass die Situation einen außergewöhnlichen Charakter hat und die künftig notwendigen Maßnahmen zu diesem Zeitpunkt unvorhergesehen sind, enthält der Entwurf keine taxativen Angaben zu dem Maßnahmenspektrum, welches von der Regierung erlassen werden könnte. Der Vorschlag stellt jedoch sicher, dass von der Regierung die notwendigsten Maßnahmen ergriffen werden können, wobei die Verhältnismäßigkeit garantiert bleibt. Der Entwurf macht klar, dass diese Ausnahmeregelung ausschließlich für die jetzige außerordentliche Rechtsordnung Gültigkeit hat, für andere Notstände nicht angewendet werden kann. Ein weiteres Ziel des Entwurfs besteht darin, der ungarischen Regierung die Annahme und Aufrechterhaltung von Notstandsverordnungen zu ermöglichen, sollte das Parlament aus Gründen der durch die COVID-19-Infektion verursachten Epidemie nicht zusammentreten können. Im Gegensatz zu den unwahren Informationen, die die ungarischen Oppositionsmedien und die ungarische Regierung verunglimpfenden liberalen internationalen Medien aufgegriffen haben, wäre das gewährte Mandat weder zeitlich noch inhaltlich unbegrenzt und würde nur bis zum Ende der Notsituation erteilt. In dem Entwurf wird klargestellt, dass diese Ermächtigung auch vollständig oder nur teilweise widerrufen werden kann, auch bevor die Notsituation beendet ist. Es ist einsichtig, dass ein genaues Ende der Ermächtigung jetzt noch nicht festgelegt werden kann:würde das Parlament aufgrund massenhafter Erkrankungen die Beschlussfähigkeit verlieren, wäre es nicht möglich, die Ermächtigung über die Frist hinaus zu verlängern, und damit könnten wir gerade auf dem Höhepunkt der Epidemie in eine chaotische und außerhalb der Rechtsordnung stehende Situation geraten. Nach Ablauf der Frist wären die Grenzen nicht mehr geschlossen, die Geschäfte und Schulen müssten nicht mehr geschlossen bleiben, und die bisher angekündigten Maßnahmen zum Schutz der Familien, der Arbeitsplätze, sowie der Wirtschaft wären zunichtegemacht. Deshalb hat die Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem sie um die Zustimmung zur Verlängerung der Wirksamkeit der in der Notsituation bisher ergriffenen Maßnahmen zu bestätigen und um eine Ermächtigung zu weiteren Maßnahmen ersucht. Leider ist das Ende der Epidemie noch nicht absehbar, sodass wir nicht festlegen können, wie lange die Notsituation andauern wird. Daher weitet der Entwurf die Gültigkeit der in dieser Zeit beschlossenen Verordnungen nicht auf ein bestimmtes Datum aus, sondern legt fest, dass diese so lange in Kraft bleiben sollten, bis die Regierung oder das Parlament eine gegenteilige Entscheidung trifft. Angesichts des breiten Spektrums an Maßnahmen und Normensetzungsrahmen, die vom Parlament festgelegt wurden, verlangt der Entwurf von der Regierung, dass sie das Parlament, oder in Abwesenheit des Parlaments den Präsidenten des Parlaments und die Fraktionsvorsitzenden regelmäßig über die Maßnahmen zur Bewältigung der Notsituation informiert und darüber Auskunft erteilt. Es hat auch einen besonderen Charme zu lesen, dass diejenigen, die seit 2010 unentwegt von einer Diktatur in Ungarn sprechen und davor warnen, jetzt 2020 wegen der gegen die Coronakrise ergriffener Maßnahmen eine Diktatur visionieren. Sie merken gar nicht, dass sie damit selber anerkennen: gegenüber ihren bisherigen Behauptungen ist Ungarn eine Demokratie. Ungarn konnte seine Grenzschutz-Pflichten während der Migrationskrise 2015-auch ohne finanzielle Unterstützung der EU –eigenständig bewältigen. Dank der aufopferungsvollen Arbeit des ungarischen Volkes und der Zusammenarbeit des ganzen Landes haben wir gute Chancen, auch diese -epidemische -Krise zu bewältigen. Wir appellieren jedoch respektvoll an die Medien, die nicht mit der ungarischen Regierung sympathisieren, nicht zu versuchen, die Glaubwürdigkeit der Regierung in dieser Situation zu untergraben, wodurch auch die nationalstaatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie geschwächt werden. (Quelle Brief der Justizministerin)