Der Oktober hat in Ungarn eine besondere Bedeutung: Während die Natur zur Ruhe kommt und sich auf den Winter vorbereitet, beginnt für viele Menschen eine Zeit des Erinnerns. Ende des Monats rückt Allerheiligen (1. November) und Allerseelen (2. November) in den Mittelpunkt – Tage, an denen die Menschen ihrer verstorbenen Angehörigen gedenken.
Obwohl die offiziellen Gedenktage der 1. und 2. November sind, beginnt die Vorbereitung schon viel früher. Immer mehr Familien besuchen bereits im Oktober die Friedhöfe, um die Gräber herzurichten, Blumen niederzulegen und Kerzen zu entzünden. Der Grund dafür ist einfach: An den Feiertagen und den benachbarten Wochenenden kommt es vielerorts zu großem Andrang, Parkplätze sind überfüllt, die Wege in den großen Friedhöfen Budapests und in den Städten dicht gedrängt. Wer ruhiger gedenken möchte, sucht daher bewusst einen früheren Zeitpunkt.
Die Tradition rund um Allerheiligen und Allerseelen ist tief im ungarischen Kulturleben verwurzelt. Ursprünglich ein katholisches Fest, hat es längst konfessionsübergreifende Bedeutung. Fast jede Familie pflegt das Ritual, die Gräber mit Chrysanthemen, Kränzen und Grabgestecken zu schmücken. Am Abend tauchen tausende Kerzen die Friedhöfe in ein warmes, stilles Licht. Das Symbol des Feuers ist uralt: Die Flamme steht für die Unvergänglichkeit der Seele, für das ewige Licht, das die Erinnerung an die Verstorbenen lebendig hält.
Diese Zeit zeigt sich auch im Alltag der Städte und Dörfer: Schon ab Oktoberbeginn füllen die Geschäfte ihre Regale mit Kerzen, Grablichtern und Dekorationen. Blumenhändler arbeiten fast rund um die Uhr, um Kränze und Gestecke vorzubereiten – jedes Jahr entstehen unzählige handgefertigte Werke. Auch die Friedhöfe verlängern ihre Öffnungszeiten, damit möglichst viele Besucher in Ruhe Zeit für ihre Angehörigen finden können.
Interessant ist, dass sich die Traditionen langsam verändern. Während ältere Generationen meist auf klassische weiße oder gelbe Chrysanthemen setzen, greifen jüngere Menschen zunehmend zu farbenfroheren Blumen oder moderneren Arrangements. Auch der Gedanke an Nachhaltigkeit spielt eine Rolle: Immer mehr Menschen wählen wiederverwendbare Grablichter oder setzen auf natürliche Materialien. Manche Familien schmücken die Gräber nicht nur mit Blumen, sondern auch mit persönlichen Erinnerungsstücken – Fotos, kleine Figuren oder Gegenstände, die für den Verstorbenen eine besondere Bedeutung hatten.
Für die Gläubigen ist Allerheiligen die Feier der Heiligen und der bereits Vollendeten im Glauben, während Allerseelen speziell den Verstorbenen gewidmet ist. Für die Familien bedeutet es aber noch mehr: Es ist eine Zeit des Zusammenkommens. Viele fahren in ihre Heimatorte, um gemeinsam mit Geschwistern, Eltern und Großeltern die Gräber zu besuchen. Dadurch wird das Gedenken nicht nur ein persönliches, sondern auch ein gemeinschaftliches Erlebnis – eine Erinnerung daran, dass man trotz des Verlustes miteinander verbunden bleibt.
Ein ungarischer Friedhof Ende Oktober oder Anfang November ist ein ganz besonderes Bild: Die Dunkelheit bricht herein, und tausende Kerzenlichter verwandeln die Gräberfelder in ein leuchtendes Meer aus warmem Licht. Für viele ist dieser Anblick tief bewegend – ein Moment, der Trost spendet und die Distanz zwischen den Lebenden und den Verstorbenen ein Stück weit überbrückt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Auch wenn die offiziellen Gedenktage auf den 1. und 2. November fallen, beginnt die Zeit des Erinnerns in Ungarn oft schon im Oktober. Das Reinigen der Gräber, das Schmücken mit Blumen und das Entzünden von Kerzen sind mehr als nur Tradition – sie sind Ausdruck einer tiefen kulturellen und familiären Verbundenheit. Und jedes Jahr erinnert uns das Lichtermeer in den Friedhöfen aufs Neue daran: Die Abwesenheit unserer Lieben ist zwar endgültig, doch ihre Erinnerung bleibt so lebendig wie die Flammen der Kerzen, die in der Novembernacht leuchten.











