Weinlese-Traditionen in Ungarn – Zwischen Arbeit, Brauchtum und Festlichkeit

Bild: Nyakas Pincészet

Die Weinlese hatte in Ungarn seit jeher einen besonderen Stellenwert. Der Wein war nicht nur ein wirtschaftliches Gut, sondern auch Träger von Kultur und Symbolik. Der Herbst, wenn die Trauben geerntet werden, war immer eine Zeit der harten Arbeit, aber ebenso des Feierns, der Gemeinschaft und der Weitergabe von Traditionen – und vielerorts ist er das bis heute.

Die Zeit der Weinlese

Früher wurde der genaue Beginn der Lese vom Hegybíró (Bergvogt) oder vom Grundherrn festgelegt. Wichtig war, dass alle Winzer der Region gleichzeitig starteten, um die Qualität zu sichern und Diebstähle zu verhindern. In der Regel fand die Lese Ende September oder Anfang Oktober statt – abhängig vom Wetter und vom Reifegrad der Trauben.

Bild: Nyakas Pincészet

Die Arbeit im Weinberg

Die Weinlese war ein Gemeinschaftswerk. Familien, Nachbarn und Verwandte packten gemeinsam an. Mit Messern oder Scheren wurden die Trauben per Hand geschnitten, in Körbe gelegt und in großen Rückentragen – den Puttony – abtransportiert. Von dort ging es auf Wagen und schließlich in die Kelterhäuser, wo die Trauben zerdrückt und gepresst wurden. Ein besonderer Moment war immer die erste Verkostung des Mostes: Der Winzer konnte erstmals den Geschmack des neuen Jahrgangs erahnen.

Überlieferte Bräuche

Rund um die Lese ranken sich zahlreiche Bräuche und Symbole. Eines der bekanntesten ist der Weinlesekranz: aus Reben, Stroh und bunten Bändern geflochten, trug ihn das schönste Mädchen des Dorfes an der Spitze des Zuges, oder man hängte ihn an die Tür des Kelterhauses. Er galt als Symbol für Fruchtbarkeit und Erneuerung.

Ebenso wichtig waren der Weinlesezug und die Erntebälle. Nach getaner Arbeit zogen die Dorfbewohner in geschmückten Wagen, begleitet von Musikanten, tanzend und singend durch den Ort. Abends folgte der Ball, ein gesellschaftlicher Höhepunkt, bei dem die Jugend miteinander ins Gespräch kam und die Bauern die Helfer mit Speis und Trank reichlich versorgten.

Kulinarische Begleiter

Eine Weinlese ohne reich gedeckten Tisch war unvorstellbar. Neben frisch geernteten Trauben wurden Braten, Strudel, Hefekuchen und natürlich der Most serviert – später auch die Weine des Vorjahres. Das Festmahl war Dank für die Ernte und zugleich Belohnung nach den Mühen.

Weinlese heute

Obwohl Maschinen vielerorts Einzug gehalten haben, sind viele Traditionen lebendig geblieben. Auf nahezu allen ungarischen Weinbaugebieten – etwa in Tokaj, Villány, Eger oder am Balaton – werden im Herbst Weinlesefeste gefeiert. Besucher erleben Umzüge in Tracht, Folkloretänze, Handwerksmärkte, Konzerte – und natürlich Weinverkostungen. So werden Brauchtum, Kultur und Genuss auf moderne Weise miteinander verbunden.

Fazit

Die Weinlese in Ungarn ist weit mehr als nur landwirtschaftliche Arbeit. Sie ist ein Stück lebendige Kultur, das Vergangenheit und Gegenwart miteinander vereint. Gemeinschaft, Dankbarkeit und die Liebe zum Wein prägen diese Zeit des Jahres – und machen sie auch heute noch zu einem der schönsten und farbenfrohsten Ereignisse im ungarischen Jahreslauf.